Biografie

Es gibt nichts Langweiligeres als Lebensläufe mit Zahlen, Daten und Fakten. Sie sagen nichts über den Menschen aus, wie er denkt und fühlt, warum das so ist, was ihn umtreibt, wer und was ihn an den Punkt gebracht hat, wo er heute steht und wohin er vielleicht noch gehen wird. Es ist mir immer ein Rätsel geblieben, warum Personalchefs so viel Wert auf diesen ganzen Papierkram legen.

Ich will hier lieber meine Geschichten erzählen, die Geschichten meines Lebens. Vielleicht nicht alle, aber zumindest so viele, dass Sie sich ein Bild von mir machen können, auch wenn wir uns nie begegnet sind. Das heißt nicht, dass ich genauso bin, wie Sie sich mich vorstellen. Das hängt ja auch ein bisschen von Ihnen ab. Außerdem sollen ein paar Dinge Geheimnis bleiben. Trotzdem: Sie werden ein buntes Bild vor sich haben, welches mich besser zeigt als jeder Lebenslauf.

Mein Leben teilt sich in vier Zeitabschnitte, die Zeit des Aufwachsens, die Zeit des Gestaltens, die Zeit des Ausschöpfens und in die Zeit des Weitergebens.


Zeit des Aufwachsens

Geboren in Freiberg/Sachsen, in der Humboldtstraße; die Nummer weiß ich nicht mehr. Hausgeburt mit Hebamme, Männer draußen vor der Tür – wie das damals eben so war. Die ersten Jahre vorrangig in der Obhut von Mutter, Großmutter und Urgroßmüttern. Der Großvater trat erst später in Erscheinung und mein Vater war hauptsächlich mit Geldverdienen beschäftigt – wie das damals eben so war.

Mehrere Umzüge mit der Familie. Damals wurden wir Kinder nicht gefragt, ob uns das wohl recht sei. Wir zogen mit, wechselten Schule und Freunde und fanden es spannend.

Apropos Schule: Es fiel mir leicht, speziell Mathematik, Physik, Deutsch (ich war eine ausgemachte Leseratte), Geografie, Astronomie, Chemie. Schwieriger war es in Geschichte und Staatsbürgerkunde. Das waren Gesinnungsfächer. Eines Tages nahm mich mein Vater zur Seite und fragte mich, was ich eigentlich damit für ein Problem hätte. Schließlich sei ich ja wohl meilenweit schlauer als die Lehrer dieser Fächer und da sollte es mir doch leichtfallen, ihnen weiß zu machen, dass ich den Kram glaube. Das leuchtete mir ein, und siehe da: Es fiel mir leicht.

Allerdings hatte das auch eine Kehrseite, mit der mein Vater nicht gerechnet hatte. Ich fing nämlich an, all diese Dinge zu glauben, Marxismus, Sozialismus und so weiter. Klang gut in meinen jugendlichen Ohren. Außerdem entstand dadurch eine Anti-Position zu Vater und Großvater, die als Kleinunternehmer von dem ganzen Zeug nichts hielten. Aber ich machte mich immer steifer und trat schließlich in die Partei ein.

Allerdings nützte es mir zunächst nicht viel, denn Medizinstudium – aussichtslos, weil kein Arbeiter- und Bauernkind. Also studierte ich das, was mir am leichtesten fiel und die meisten andern nicht wollten: Physik, an der TU Dresden. Zugegeben, die meiste Zeit verbrachte ich damals auf der Pferderennbahn, denn Reiten war nach dem Segeln in den vorangegangenen Jahren meine Lieblingsbeschäftigung. Das hing sicher auch mit meiner damaligen Freundin zusammen, die ich – wieder in Konfrontation mit meinem Vater – schließlich heiratete.

Und dann – endlich, ich hatte es herbeigesehnt – endlich der Eintritt ins Arbeitsleben. Während andere nach dem Studium erst einmal Ferien, vorzugsweise in Ungarn, machten, stürzte ich mich in den Beruf, von Anfang an mit Vollgas. Interessanterweise blieb ich in der Familientradition – mein Vater hatte eine kleine Gerberei – und begann am Deutschen Lederinstitut in Freiberg (wieder zurück in meiner Geburtsstadt, in der meine Großeltern lebten). Kurz danach wurde das Institut umbenannt in Forschungsinstitut für Leder- und Kunstledertechnologie. In dieser Erweiterung auf das Feld der Hochpolymere fand ich dann auch mein wissenschaftliches Betätigungsfeld und promovierte über ein mathematisches Modell des Koagulationsverfahrens. Klingt langweilig, war es aber allein deshalb nicht, weil ich dabei die Fourier-Reihen anwenden konnte – Name verpflichtet.


Zeit des Gestaltens

Ende der ersten Ehe, Scheidung von Frau und Kind. Eine Weile später neue Liebe, nach zwei Jahren wieder geheiratet, Kinder. Ich erwarb einen alten Bauernhof, weil es damals in der DDR keine Wohnungen gab. Außerdem stammte meine Familie mütterlicherseits aus einem sächsischen Bauerngeschlecht. Meine Großmutter war glücklich über diese Entwicklung und meinte voller Stolz „das ist das Bauernblut“. Allerdings hatte ich in den Folgejahren mehr mit Materialbeschaffung für diverse Umbaumaßnahmen, mit dem Organisieren von Handwerkern und allen möglichen Auswirkungen der herrschenden Mangelwirtschaft zu tun. Das öffnete mir auch langsam – allerdings sehr langsam, schließlich lebte ich ja zwischen Freiberg und Dresden im Tal der Ahnungslosen – die Augen für die Realitäten des Sozialismus.

Als der Bauernhof einigermaßen in Schuss war und ich im Institut die Karriereleiter bis an das damals erreichbare Ende erklettert hatte – meinen hochverehrten Mentor und Institutsleiter, Professor Günter Reich, wollte ich nicht verdrängen (hätte ich sicher auch nicht gekonnt!) – gingen mir die Herausforderungen aus. Ich brauchte MEHR, wollte gestalten, meine eigenen Vorstellungen von Arbeit, Zusammenarbeit, vielleicht sogar Sozialismus durchsetzen. 

Also ergriff ich eine günstige Gelegenheit und wurde Direktor (heute würde man Geschäftsführer dazu sagen) eines recht großen Betriebs der Kunststoffindustrie in Coswig bei Dresden, mit drei Werken und mehr als tausend Mitarbeitern. In meinem damals noch fast jugendlichen Alter von Anfang Dreißig war das wohl noch eine Nummer zu groß für mich, aber ich stürzte mich mit Feuereifer und ohne Rücksicht auf mögliche Nebenwirkungen in die Schlacht. Umzug mit schmerzlichem Abschied von meinem Bauernhof. Zunehmende Differenzen und Konfrontationen mit Parteibonzen und Stasi-Mitarbeitern, höchster beruflicher und familiärer Stress (heute heißt das Burn-out). Aber: Die Augen öffneten sich langsam für die Wirklichkeit.

Der entscheidende Augenöffner kam bei einer Dienstreise nach Bremen und Frankfurt. Was ich dort sah und erlebte, stand dem Bild, das man mir in all den Jahren über West und Ost vorgemacht und das ich geglaubt hatte, so diametral entgegen, dass ich aufwachte. Bei meinem Naturell konnte das nur „Reißleine“ bedeuten. Ich nutzte die nächste Gelegenheit und setzte mich in die Bundesrepublik ab.

Dort angekommen, wurde ich mit Kusshand von der Branche aufgenommen, schließlich war ich auf meinem Gebiet durch Patente und Publikationen bereits recht bekannt. Anfangs war ich von der Arbeitswelt im Westen beeindruckt. Das verflog aber schnell, als ich merkte: „Die kochen auch bloß mit Wasser – der Rest ist Schaum“. Ich profilierte mich auf dem Gebiet des Qualitätsmanagements und machte mich mit diesem Thema nach einigen Jahren als Berater selbstständig.

Parallel kam die zweite Scheidung und dann ein neues Glück – was bis heute anhält. Gemeinsam mit meiner Frau gründeten wir die Humanagement GmbH, ein Beratungsunternehmen mit Spezialisierung für Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung, Prozessoptimierung und Changemanagement. Hier hatte ich mein Gestaltungsfeld, meine Lebensaufgabe gefunden! Es folgten hochproduktive Jahre voller Theorie- und Methodenentwicklung, großer und komplexer Aufträge von Unternehmen und reger Publikation.


Zeit des Ausschöpfens

Humanagement etablierte sich als gefragter Partner für Change- und Transformationsprojekte. Insbesondere in zahlreichen Unternehmen der Pharmaindustrie, aber auch bei Automotive und in anderen Branchen wurden erfolgreiche Projekte verwirklicht. Daneben entwickelten wir eine spezielle Trainingsform für die Qualifizierung von Mitarbeitern und eine pragmatische Methodik des Projektmanagements. Unser Unternehmen wuchs, wir bezogen neue Büroräume in Hannover, bildeten zahlreiche Trainer und Berater nach unserem System aus. Wir hatten Erfolg auf der ganzen Linie, auch wenn es hin und wieder konjunkturelle Schwankungen gab. Um diese besser abzufedern, organisierten wir Humanagement um und entwickelten ein System für die Zusammenarbeit selbstständiger und eigenverantwortlicher Partner unter einheitlichem Label.

Aus dem Vollen zu schöpfen bedeutete auch zu reisen, als Mitglied von Wirtschaftsdelegationen nach China und Japan, in die USA, mehrfach zur EU nach Brüssel, nach Dänemark und in die Türkei. Die dabei gewonnen Eindrücke verarbeitete ich in diversen Blogbeiträgen und Kolumnen. Daneben unternahmen wir private Reisen in viele Länder, mal luxuriös per Kreuzfahrtschiff, mal mit Rucksack oder auch im Wohnwagen. USA, China, Japan, Taiwan. Mehrfach und sehr gern waren wir in Thailand. Myanmar, Türkei, Kroatien, England, Norwegen, Schweden, Chile, Ecuador, Argentinien, Uruguay, Frankreich, Spanien, Italien, Österreich und der Iran. Vermutlich habe ich hier in der Aufzählung noch einiges vergessen, okay.

Prägend für diese Zeit waren auch unsere verschiedenen Wohnprojekte, von der Penthouse Wohnung über ein supermodernes Loft bis zum Haus auf dem Land, direkt am Waldrand. Letzteres ist uns leider abgebrannt – wir bauen es gerade wieder auf.


Zeit des Weitergebens

Wenn ich zurückschaue, dann habe ich bereits in früheren Lebensphasen mit dem Weitergeben begonnen. Beruflich natürlich als Unternehmensberater, Coach und bei der Ausbildung von Beratern. Da habe ich immer aus meinem Erfahrungsschatz geschöpft und weitergegeben. Aber auch im privaten Bereich gegenüber jüngeren Freunden, den Kindern und zunehmend den Enkeln. 

Beim Weitergeben von Wissen und Erfahrungen muss ein wichtiger Grundsatz beachtet werden:

Antworte nur auf Fragen, die wirklich gestellt wurden!

Es kann nämlich mehr als peinlich, geradezu lästig, werden, wenn man auf Fragen antwortet, die überhaupt niemand gestellt hat. Das ist dann Dampfplaudern oder, schlimmstenfalls, Besserwisserei. Es gelingt mir vielleicht nicht immer, diese Grenze einzuhalten, aber ich arbeite daran …

Dieser Grundsatz hat natürlich eine Kehrseite. Wenn dich niemand fragt, dann bleibst du nämlich auf deinem Erfahrungsschatz sitzen. Dabei drängt er fortwährend an die Oberfläche und will raus. Aber du musst erkennen, dass die Welt auch ohne deine Weisheiten auskommt. Wie also kannst du dieses Dilemma lösen. Ich versuche es so, dass ich mich als Mentor anbiete, ohne dafür exzessiv zu werben. Es ist schön, wenn mich jemand anspricht, aber es geht auch „ohne“. 

Und ich schreibe. Kolumnen, Essays, Romane, Novellen und Kurzgeschichten. Ich schreibe, veröffentliche und lasse mich überraschen, wer das alles liest. Natürlich freue ich mich über jede Rückmeldung, aber auch wenn sich niemand meldet, kann ich mir ja immerhin vorstellen, dass ganz viele Menschen meine Sachen lesen, jetzt und vor allem später. Das ist ein schönes Gefühl – und darum geht es doch, oder?